Im letzten Jahr hatte es an dieser Stelle ein etwas längeres Interview mit Vivien Scholz über ihre gesamte TT-Karriere gegeben.
Wer nochmal rein lesen möchte, kann es hier tun:
https://ttvb.de/interview-mit-vivien-scholz
Heute gibt es erneut ein Interview mit Vivien, die in Brandenburg aufgewachsen ist und die Grundlagen im Tischtennis gelernt hat.
Sie erzählt uns ganz offen über die Höhen und Tiefen der abgelaufenen Saison in der 1. Bundesliga.
Frage: Hallo Vivien, vielen Dank, dass du uns für ein erneutes Interview zur Verfügung stehst. Während wir Deine Ergebnisse und Spiele in der 1. Bundesliga verfolgen konnten, ist uns über Dein neues Leben in Luxemburg weniger bekannt. Deshalb erzähle uns doch bitte, bevor wir auch nochmal etwas näher auf deine starken Leistungen in der 1. Bundesliga eingehen, wie in Luxemburg die Trainingsbedingungen sind und wie Du Dein erstes Jahr dort erlebt hast.
Antwort: Ein Jahr Luxemburg klingt schon so lange, aber ehrlich gesagt, verflog die Zeit im Nu. Wie von mir erwartet und im Geheimen gehofft, stellte sich die Entscheidung nach Luxemburg zu gehen, als ein wahres Abenteuer heraus. Ich habe hier meinen neuen, lieben Freund kennengelernt. Er ist, wie könnte es anders sein, natürlich ein Tischtennisspieler 😊. Aber nun zu Deiner Frage.
Der erste Tag im Coque (so heißt das internationale Trainingszentrum in Luxemburg) war sehr aufregend für mich. Es ist ein großer, moderner Sportkomplex, in dem viele Sportarten zu Hause sind. Wasserball, Handball, Badminton… und auch Tischtennis. Als ich die ersten Schritte zur Halle gegangen bin, vorbei an den vielen Kraft- und Trainingsräumen, den vielen „wichtigen“ Sportlern, dachte ich nur: „wow, und auch ich darf hier trainieren?!“ Ein klein wenig erinnerte mich dieser Tag an meinen ersten Tag in Düsseldorf, als ich aus der kleinen Trainingshalle in Sachsen, an die mit rotem Boden unterlegten neuen Tische im Deutschen Tischtenniszentrum kam.
In Luxemburg machte ich nun einen weiteren Schritt in meiner Lebensgeschichte. Wieder alles neu. Neue Trainer, neue Spielerinnen, neue, wichtige Leute. In Luxemburg ist der Boden auch rot. Prima. Ich liebe es auf rotem Boden zu spielen. Ich weiß gar nicht warum, aber sofort fühle ich mich wohl 😊. Cheftrainer Peter und sein neues Trainerteam warteten schon auf mich und vorbei war das große Umsehen und Staunen. Ich musste, wie immer, meine Runden zur Erwärmung laufen, genau wie damals in Geltow, in Sachsen oder in Düsseldorf. Auch meine Freundin Karolina Mynarova war schon da und freute sich auf die gemeinsame Erwärmung.
Leider ging auch an uns das Thema Corona nicht ganz vorbei. Mal durfte trainiert werden, dann wieder nur 5 Leute, dann nur eine Stunde. Also eigentlich änderten sich, genau wie hier wahrscheinlich, ständig die Auflagen und Bestimmungen. Dadurch litt das Training. Peter kümmerte sich ganz wunderbar um mich. In den ersten Wochen lag bei mir der Schwerpunkt auf meiner Vorhand. Immer und immer wieder wurden nur Übungen rund um die Vorhand gespielt. Ich fand bis dahin meine Vorhand eigentlich immer ganz gut, aber Peter zeigte mir schnell, dass da noch viel mehr geht. Hoffentlich liest Peter das jetzt nicht, aber anfänglich war ich schon etwas missgestimmtn immer nur VH spielen zu müssen. Ich wollte doch auch meine traumhafte Rückhand mal auspacken! Aber spätestens nach dem ersten Punktspiel wusste ich, dass Peter Recht hatte. Die Vorhand wurde zwischenzeitlich so gut, dass ich plötzlich selbst von ihr ganz begeistert war.
Doch wie nicht anders zu erwarten, gab es auch Rückschläge. So verletzte ich mich ziemlich blöd, besuchte unzählige Ärzte und Wunderheiler, am Ende mit dem Ergebnis, dass ich seit Monaten keinen Ball mehr spielen kann und die Zeit das einzige Mittel der Heilung ist. Echt bitter für mich.
Frage: Bevor die bitteren Rückschläge kamen, hast Du sehr starke Ergebnisse in der 1. Damen-Bundesliga erspielt. Ursprünglich bist Du ja als Nummer 5 bei Weil in die Saison gegangen. Wie kam es dazu, dass Du dann doch (wenn Du fit warst) relativ häufig zum Einsatz kamst? Wie hast Du deine starken Ergebnisse selbst erlebt und vielleicht kannst Du uns ja zudem noch verraten, wie es zu deiner Verletzung kam?
Antwort: Am Anfang der Saison war ich in einer phänomenalen Topform. Ich hatte die Monate davor super trainiert, mich konditionell in Bestform gebracht und, was ganz neu für mich war, auch mental enorm an mir gearbeitet. Ich denke, es war die beste Form meines Lebens. Ich fühlte mich unschlagbar. So ging ich dann auch in die ersten Spiele, als ich gebraucht wurde – voller Freude, Aufgeregtheit und Stolz, dabei sein zu dürfen. Dadurch, dass die Einreisebestimmungen mit der dazugehörigen Quarantäne es unserer Jenia (Ievgeniia Sozoniuk) sehr schwer machten, bei jedem Spiel dabei zu sein und dadurch, dass sich Izi (Izabela Lupulesku) nicht verletzungsfrei halten konnte, gab es öfter als gedacht ein Plätzchen für mich in der Mannschaft. Ehrlich gesagt, habe ich mich über jedes Spiel, welches ich für Weil bestreiten durfte, sehr gefreut. Jedoch hatte ich auch gegenüber der Trainingsgruppe bei Peter immer ein schlechtes Gewissen, dort nicht dabei zu sein. Ich wollte in Luxemburg mein kontinuierliches Training nicht verpassen. In Weil wurden vor den Spielen sehr gute Lehrgänge durchgeführt, aber die vielen ungeplanten Einsätze brachten mich von meinem Vorhaben Peter/Luxemburg schon ein wenig ab.
Bei meinem ersten Einsatz gegen Kolbermoor wollte ich jede Minute genießen. 1. Bundesliga! So viele Ligen hatte ich durchlaufen, Verbandsliga, Verbandsoberliga, Oberliga, Regionalliga, 3., 2. Bundesliga und nun endlich mein Start in der 1. Liga. Es war auch ein Traumstart, der nicht besser hätte laufen können. Ich gewann meine beiden Spiele gegen Bondareva und Tiefenbrunner. Ich spielte recht ordentlich und konnte meine nun stark verbesserte VH einsetzen, die Traumrückhand auspacken und überhaupt, es lief 😊! Am Ende gewann Weil das Spiel mit 6:2 und konnte die rote Laterne in der Tabelle abgeben.
Gleich beim nächsten Spiel gegen Bingen wurde ich wieder eingesetzt und konnte neben einem kampflosen Gewinn noch einen weiteren Sieg gegen Tomanovska aus Tschechien (die gerade erst bei der Europameisterschaft gestartet ist) beisteuern. Somit gab es mit mir im 2. Punktspiel den 2. Sieg für Weil und einige im Verein bezeichneten mich nun zum Spaß als Joker.
In die Rückrunde starteten wir mit einem Spiel gegen die stärkste Mannschaft Europas, den ttc berlin eastside. Das Schönste daran: ich war wieder mit dabei.
Ich hatte zwar in den Punktspielen zuvor gezeigt, dass ich mich mit meinen Leistungen in der 1. Bundesliga sehen lassen kann, aber diesmal wollte ich zudem unbedingt dem Verein eastside bestätigen, dass ich auch für sie eine große Bereicherung gewesen wäre. Es war schön in Berlin, also für mich zu Hause, zu spielen. Boah, wirklich traumhaft, noch als kleines Kind hatte ich in Berlin in einer Halle in Tegel mal mit Gaby Rohr ein paar Bälle spielen dürfen. Sie war eine Spielerin aus der Bundesliga und nun war ich selbst die Bundesligaspielerin!
Aber ich schweife ab, es gelang mir, mich gegen Jessica Göbel durchzusetzen und auch der Sieg beim 2. Spiel an diesem Tag gegen Britt Eerland (WR 28), war zum Greifen nah. Nachdem ich mich nach 0:2 an ihren Spielstil und ihren wahnsinnig vielen Schnitt gewöhnt hatte, glich ich auf 2:2 aus und lieferte tolle Ballwechsel, bis ich leider knapp 2:3 das Spiel abgeben musste. Es war trotz der Niederlage vielleicht mein bestes Spiel der Saison. Mit diesem Sieg hätten wir sogar ein Unentschieden gegen den Triple-Sieger geholt, so war es am Ende „nur“ ein 3:5. Viel mehr noch als sonst war ich voller Wehmut, dass wieder keine Zuschauer zugelassen waren. Ich hätte mich so sehr über ihr Kommen gefreut. Aber wenigstens warst Du, Johannes, als Fotograf dabei und hast mir ein wenig die Daumen gedrückt 😊.
Nach dem Spiel teilten mir dann die Manager mit, dass ich nun jedes Spiel bestreiten sollte. Doch nach diesem Wochenende fing das Dilemma mit meiner Verletzung an.
Ich konnte mich immer weniger gut bewegen. Schmerzen im unteren Rücken und ein schreckliches Ziehen von der Seite her plagten mich sehr. Anfangs versuchte ich es zu ignorieren, jedoch wurde es von Tag zu Tag schlimmer und schlimmer. Ich konnte nach einiger Zeit nicht einmal mehr den Ball aufheben. Es hatte keinen Zweck. Ich musste zum Arzt. Mittlerweile könnte ich Bücher vollschreiben, bei wie vielen Ärzten, Sportmedizinern, Orthopäden und Wunderheilern ich war. Ein MRT wurde gemacht und jeder Arzt hatte eine ganz eigene andere Analyse, was mir fehlte. Die Ärzte, die gar keinen Schimmer hatten, was ich haben könnte, diagnostizierten mir psychischen Stress. Am Ende gehe ich davon aus, dass ich eine Kreuzbein-/Darmbein-Blockade & Verklebung der Faszien hatte und noch immer etwas habe.
Beim Punktspielwochenende gegen Schwabhausen war die Not für Weil enorm groß. Die gute Jenia konnte nicht mehr einreisen und Weil wollte unbedingt vollständig antreten. Also wurde ich gefragt, ob ich es nicht noch einmal versuchen könnte. Selbstverständlich sagte ich zu. Doch schon in der Umkleide merkte ich, dass ich mir nicht einmal die Schuhe zubinden konnte. Es war wirklich traurig, ich wollte ja, aber es ging nix. So stand ich in den Spielen wehrlos da und schupfte Ball für Ball zurück. Bloß keinen Topspin ziehen. Diese Bewegung ging am wenigsten und war am schmerzhaftesten. Ich dachte nur, wenn ich jetzt fit gewesen wäre, gegen die beiden hätte ich sicher eine Chance gehabt. Aber so verlor ich meine beiden Spiele … und meinen Status als Joker verlor ich somit auch 😔.
Nun legte ich in den nächsten 2 Monaten meinen Schläger wirklich in die Ecke. Nichts mehr da von meinem Glanz und Gloria. Nur noch Trübsal und Frust. Am Anfang der Saison sah ich mich ganz oben auf der Spitze des Berges angekommen und jetzt hockte ich in der tiefsten Mulde im tiefsten Tal.
Meine Verletzung besserte sich Woche für Woche nur minimal. Nach 6 Wochen fragte mich der Manager ganz vorsichtig, ob ich es im vorletzten für uns schon wieder so wichtigen Spiel gegen Böblingen noch einmal versuchen könnte. Und na klar, sagte ich ja und freute mich, endlich wieder ran an “die Platte“ zu dürfen. Ach ne, Platte soll ich ja nicht sagen. Rene Wuttke, mein super Trainer aus Geltow, mochte es ja nicht. Es muss richtig heißen: ran an den Tisch. 😉
Das Punktspiel gegen Böblingen lief für uns nicht ganz so wie erhofft. Mitsuki Yoshida spielte im oberen Paarkreuz viel stärker als erwartet. Ich konnte meine beiden Spiele gegen Behringer und Alexandra Kaufmann gewinnen, aber wenn ich ganz ehrlich bin, gut dass keine Zuschauer da waren. Ich spielte nicht wirklich mein bestes Tischtennis, um nicht zu sagen, ich war weit entfernt von meiner Form. Aber immerhin konnte ich für uns das 4:4 retten.
Nach dem Punktspiel versuchte ich, in Luxemburg wieder am Trainingsbetrieb teilzunehmen. Mein Trainer Peter passte gut auf, dass ich mich nicht übernahm. Ich sollte anfangs nur maximal 2 Stunden am Tag trainieren. Entweder vormittags oder nachmittags. Das klappte auch ganz gut und ich merkte, ich komme wieder in Fahrt. Doch dann eine blöde Bewegung und es war wieder schlimmer als je zuvor. Nichts ging mehr. Ich konnte mich plötzlich wieder nicht mehr bücken, fühlte mich um 50 Jahre gealtert. Schlimm. Ich konnte auch nicht mehr sitzen, selbst liegen war unangenehm. Am besten ging es mir noch, wenn ich nur stand 😔. Ich reiste nun erst einmal nach Hause und versuchte hier, ganz in Ruhe wieder gesund zu werden. Was ich brauche, sind nicht tausend Ärzte und Befunde, sondern Zeit. Mein Körper macht das schon, der kriegt sich wieder hin.
Ich nutze ab jetzt die Zeit für mein Mentaltraining und da ja inzwischen die Spargelzeit angebrochen war, half ich erneut meinem Vater beim Spargelverkauf. Tja, plötzlich stand ich schon wieder am Stand und verkaufte Spargel und Erdbeeren 😊.
Frage: Oha, das klingt nach einer echten Achterbahnfahrt durch die Saison. Das mit Deiner hartnäckigen, dauerhaften Verletzung ist natürlich schrecklich, auch für Deinen Wiedereinstieg ins Training. Wie sieht dein Plan für die kommende Saison aus?
Antwort: Tatsächlich plane ich, ab Juli wieder in den Trainingsbetrieb einzusteigen. Meine Verletzung hat sich soweit gebessert, dass ich wieder mit dem Laufen und einigen leichten Workouts begonnen habe, und das ganz ohne Beschwerden.
Ja, wie sieht mein Plan für die kommende Saison aus? Eigentlich hat sich hier nichts geändert. Trotz einiger Anfragen von verschiedensten Mannschaften aus verschiedensten Ligen, möchte ich weiter an dem Plan festhalten, mich hauptsächlich auf das Training in Luxemburg bei Peter zu konzentrieren. Noch immer gibt es so viele Baustellen in meinem Spiel, an denen ich arbeiten will. Außerdem, was bisher Corona-bedingt auch noch gar nicht umsetzbar war: mein Einstieg bei den internationalen Turnieren. Eine Vivien Scholz soll endlich mal nicht nur in Brandenburg, sondern auch in der Tischtenniswelt bekannt sein 😊😊😊.
Nebenher freue ich mich aber auch, beim ESV Weil wieder als Nummer 5 dabei zu sein. Den Weiler Verein mit all seinen Verantwortlichen, Trainern, Betreuern und vielen Fans habe ich inzwischen sehr in mein Herz geschlossen. Hier wurde ich so lieb aufgenommen. Ein sehr bodenständiger Verein, bei dem alle wie eine große Familie sind.
Frage: Im letzten Jahr hast Du uns erzählt, dass Du ein Angebot vom ttc eastside berlin nach reiflicher Überlegung letztendlich abgesagt hast. Der ttc eastside ist in diesem Jahr mal wieder Triple-Sieger geworden. Bereust du deine Entscheidung nicht ein wenig? Schließlich wärst du jetzt um drei Titel reicher und gerade Champions-League-Siegerin wird man nicht alle Tage 😉?
Antwort: Meine Entscheidung, in der letzten Saison nicht für eastside zu spielen, bedauere ich keineswegs. Na gut, wenn ich ganz ehrlich bin, ein ganz klein wenig schon. Ich hätte mit dem Riesenpokal in der Hand auf den Fotos sicherlich auch ganz hübsch ausgesehen. 😉 Hätte auch ganz gut geklungen: Vivien Scholz – Champions-League-Siegerin. Aber mal im Ernst: Ich war und bin noch nicht so weit, um in solch einem Finale dann auch 100-prozentig von den Trainern eingesetzt zu werden. Und nur, wenn ich auch selbst im Finale oder den Runden davor mitgespielt hätte, also nicht nur auf der Ersatzbank hätte zuschauen müssen, nur dann wäre ich für mich voller Stolz auf das Erreichte. Aber keine Sorge, mein Ziel bleibt es trotzdem weiter, so etwas zu schaffen. Und was für eastside der große Champions-League-Pokal bedeutet, das ist für den ESV Weil gleichzusetzen mit einer Teilnahme bei den Play-Offs und dem Final-Four. Denn auch das war etwas Großes und Bedeutsames für uns als Mannschaft, als Verein und natürlich auch für mich persönlich!
Das war ein schönes Schlusswort! Wir Brandenburger gratulieren Dir, Vivi, zu der für Dich sportlich enorm erfolgreich verlaufenen letzten Saison und wünschen Dir für die anstehende, dass Du verletzungsfrei bleibst und an diese Erfolge nahtlos anknüpfen kannst.
Auf gedrückte Daumen aus Brandenburg kannst du bei jedem Spiel zählen, aber nun werde erstmal wieder richtig fit, das wünschen wir Dir am meisten!