Mittlerweile schon traditionell ist unser Sommerinterview mit der aktuell immer noch einzigen ehemaligen Brandenburger TT-Spielerin im Profi-Bereich. Auch in diesem Jahr interessiert uns und unsere Leser natürlich, wie die Zeit für die Kleinmachnowerin seit Juli 2022 verlaufen ist. Angesichts eines mehrwöchigen TT-Lehrganges war das jedoch gar nicht so leicht. Am Ende konnte unser Redakteur Johannes Gohlke dennoch viele Fragen los werden und hat ausführliche Antworten darauf bekommen.
Wer sich im Vorfeld die Interviews aus den letzten Jahren durchlesen möchte kann es hier tun: Interview 2020, Interview 2021, Interview 2022
Johannes: Hallo Vivien, danke, dass Du Dir für unser Interview trotzdem Zeit genommen hast.
Vivien: Hallo Johannes. Zuerst einmal vielen Dank für Deine erneute Anfrage nach einem Interview. Das freut mich natürlich sehr, und ja, Du hast Recht. Deine Anfrage erreicht mich am anderen Ende der Welt, nämlich in Shanghai. Hier trainiere ich insgesamt 5 Wochen in der Shanghai Summer School. Ich bin bereits zum dritten Mal nach 2013 und 2014 in Shanghai. Seit meinem letzten Besuch hat sich die Stadt um einiges verändert und ist technisch gesehen sehr fortschrittlich geworden. Beispielsweise wird kaum noch mit Bargeld bezahlt, alle Transaktionen werden über Alipay oder WeChat abgewickelt. Wer noch nie in Shanghai war, dem kann ich eine Reise nur empfehlen, auch wegen der vielen gastfreundlichen und überaus aufgeschlossenen Leute. Das Training findet unter Chen Bin (Privatcoach von Weltmeisterin Ding Ning) und Yan Sen (Olympiasieger und 2-facher Weltmeister im Doppel) statt. Aber dazu mehr am Ende des Interviews.
Johannes: Wow! Das klingt sehr spannend! Wie kommt es eigentlich, dass Du zurzeit in China trainierst?
Vivien: Der Luxemburger Verband, allen voran der Trainer Cheng Xia, hat mich dorthin empfohlen. Dafür bin ich sehr dankbar. In Luxemburg hat sich auch einiges getan. Im vergangenen Jahr habe ich intensiv die Luxemburger Sprache gelernt bis zum Niveau B1 und musste zum Abschluss 2 Prüfungen absolvieren, eine mündliche und eine Prüfung zum Hörverstehen. Ich hatte mich darauf fleißig vorbereitet, denn ich wollte unbedingt bestehen. Als ich dann allerdings mein Thema der mündlichen Prüfung erhalten habe, war es doch eine recht große Herausforderung, zum für mich nicht ganz so interessanten Thema „Mode“ zu sprechen. Groß war dann auch die Erleichterung, als eine Woche später das Zertifikat des bestandenen „Sproochentests“ in meinem Postkasten lag. Nun hatte ich wieder einen entscheidenden Schritt – neben dem Schein zum Luxemburger Allgemeinwissen (Geschichte, Politik, Gesellschaft), den ich vorher auch schon gemacht hatte – zum luxemburgischen Pass und damit zur Teilnahme an den großen internationalen Turnieren geschafft. Auch habe ich meine deutsche Trainer-B-Lizenz in Luxemburg anerkennen lassen. Dadurch kann und werde ich nun junge luxemburgische Nachwuchsspielerinnen auf den internationalen Turnieren sowie bei Lehrgängen begleiten und betreuen.
Johannes: Zurück nach Deutschland, Deine letzte Bundesligasaison verlief eher etwas holprig mit deiner Mannschaft. Am Ende musste Weil jetzt in die zweite Liga absteigen. Wie kam es dazu?
Vivien: Zum einen ist das Niveau in der 1. Liga im vergangenen Jahr noch einmal um einiges gestiegen. Spielerinnen, die in der vorherigen Saison an Position 1 oder 2 gespielt hatten, spielten jetzt auf Position 3 oder 4. Weil konnte und wollte hier aber mit dem bestehenden Team den Klassenerhalt schaffen, was ich persönlich auch tapfer und äußerst loyal den Spielerinnen gegenüber fand. Unsere Polina wurde schwanger, Hana und Izi standen wegen ihrer internationalen Turniere auch nicht durchweg zur Verfügung und ich schaffte es tatsächlich immer wieder, super Spiele zu spielen und am Ende den letzten Punkt nicht nach Hause zu holen. Wären davon eins/zwei Spiele mit einem anderen Ende ausgegangen, hätte es Weil sicherlich sehr geholfen. Die Bilanzen von uns allen blieben weit hinter unseren Erwartungen zurück und Tränen flossen immer mal hier und da. Es tat mir so furchtbar leid für unseren Verein, da ich mich noch genau dran erinnern konnte, wie stolz wir beim Aufstieg in die 1. Liga waren. Ich werde Serge, Doris und Alen immer sehr verbunden bleiben, denn ich hatte eine fantastische Zeit und wurde so gut aufgenommen und betreut. Es war ganz familiär mitsamt den lieben Zuschauern, die uns in meinen 5 Jahren, bzw. dem Verein auch schon länger treu geblieben sind. Ich wünsche Weil für die Zukunft nur das Beste.
Johannes: Ich hörte, Du spielst in der nächsten Saison in Jena, die den Aufstieg in die 1. Bundesliga geschafft haben. Warum hast du dich gerade für diesen Verein entschieden?
Vivien: Es gab Angebote von verschiedensten Vereinen der 1./2./3. Bundesliga. Darunter auch eines von Jena, worüber ich mich sehr freute. Wie du ja weißt, ist die Heimat meiner Kindheit und meiner Familie Kleinmachnow (Brandenburg). Durch die nun deutlich geringere Entfernung kann ich mehr Zeit mit den Menschen verbringen, die mich liebhaben und unterstützen. Ich kann sogar vor einem Punktspiel im Haus von meiner Familie übernachten. Außerdem leben auch einige Verwandte von mir in Thüringen. Ausschlaggebend war zudem die sehr angenehme Atmosphäre im Verein. Die Verantwortlichen sind sehr herzlich auf mich zugekommen und auch einige Leute im Verein kannte ich schon vorher gut, darunter besonders die Spielerin Valeria Mühlbach, mit der ich zu meiner Zeit in Düsseldorf immer mal in Holzbüttgen trainiert habe und einen unserer Coaches Hermann Mühlbach, welcher sogar mein Assistenztrainer im Deutschen Tischtennisinternat in Düsseldorf war. Ich freue mich sehr auf die kommende Saison mit Jena und hoffe, dass wir die Zuschauer begeistern werden. Gerade im Doppel hatte ich in der letzten Saison spektakuläre Spiele und konnte mit verschiedenen Partnerinnen Doppel schlagen wie die Kombinationen Xiaona/Surjan, Lang/Brateyko, Wan/Klee oder das beste Doppel der Saison 2021/22 Schreiner/Krämer.
Johannes: Wie verliefen denn Deine internationalen Turniere? Konntest Du hier Fuß fassen und gibt es besondere Highlights, die Du uns erzählen möchtest?
Vivien: Oh ja, das ist ein tolles Thema. Ich bin bei weitem nicht mehr so aufgeregt bei meinen Spielen. Wenn ich jetzt in die Halle komme, kenne ich so viele Spielerinnen, die immer gerne bereit sind, sich mit mir einzuspielen, mit denen ich mir die Hotelzimmer teilen kann oder mit denen man abends noch zum Essen gehen kann. Viele weitere Städte und Hallen habe ich kennengelernt und jetzt kommt`s: ich konnte mich mit Amelie Solja bis auf Platz 79 der Weltrangliste im Doppel vorspielen. Boah, ich unter den Top 80 der Welt! :O Amelie und ich haben nämlich festgestellt, dass wir recht gut im Spiel zusammenpassen. Sie spielt auf der RH einen Anti und auf der VH eine Noppe. Sie schafft es so durch ihr Material, das Spiel langsam zu machen und mir gute Bälle vorzubereiten. Ich liebe es, wenn es nicht so schnell ist und ich ausreichend Zeit habe, mich ordentlich hinzustellen und meinen einen guten Ball zu spielen. Dann fasziniert mich auch immer wieder Amelies Leichtigkeit, mit der sie in unser Match geht. Ich kann mich noch an das eine Achtelfinalspiel erinnern, als sie sich mitten im Spiel zu mir umdrehte und mich fragte, ob ich gestern Abend auch noch die Folge „Wer wird Millionär?“ im Fernsehen gesehen habe. Das fand ich so klasse. Da fällt jede Verkrampfung ab, da macht dann Tischtennis nur noch Spaß. Und diesen Spaß hatten wir in Olomouc auch gegen die zwei chinesischen Doppel. Das eine Doppel konnten wir im fünften Satz schlagen und gegen das darauffolgende Doppel unterlagen wir nur knapp im Fünften. Gegen China zu gewinnen, auch ein echtes Highlight für mich. Genau wie unsere Serie in Nova Gorica, in der wir 3 aufeinanderfolgende Favoriten aus dem Turnier geworfen haben, wie beispielsweise ein Doppel mit der Nummer 31 der Einzelweltrangliste. Auch mit anderen Spielerinnen habe ich einige schöne Spiele gewinnen können und kam somit auf Platz 91 der Individualdoppelweltrangliste. Aber auch im Einzel hatte ich meine kleinen Momente. Zum Beispiel konnte ich in Düsseldorf gegen G. Takahashi, eine Olympionikin und südamerikanische Schülermeisterin gewinnen. Jedoch mein größter Lohn von den gesamten internationalen Turnieren ist die Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2023 im Einzel und im Doppel mit Izi (anm. der Redaktion: Isabell Lupulesku aus Serbien). Das Erstaunlichste für mich ist dabei die Tatsache, dass Izi und ich sogar auf Platz 37 bei der Weltmeisterschaft gesetzt worden wären. Schade, dass ich die Warteperiode nach einem Landes(verbands)wechsel noch nicht überbrückt habe. Daher konnte ich hierbei noch nicht teilnehmen.
Johannes: Wie lange dauert die Warteperiode noch an, bis du Deine erste Europa- oder Weltmeisterschaft für Luxemburg spielen dürftest?
Vivien: Puh, wie sehr würde ich es begrüßen, Dir auf diese Frage eine genaue Antwort geben zu können. Doch leider konnten mir bisher weder die Statuten von WTT oder der ITTF, noch die Verantwortlichen von Luxemburg oder Deutschland hierbei ganz konkret weiterhelfen. Was ich seit meinem Länderwechsel vor 3 Jahren glaube herausgefunden zu haben ist folgendes: Wenn man wie in meinem Fall nach 21 Jahren das Land wechselt, ist es anders als früher, nun wieder möglich, an einer WM und auch bei Olympia für das neue Land teilzunehmen. Die Wartezeit beträgt allerdings 9 Jahre (noch 6) und die Staatsbürgerschaft ist erforderlich. Eine EM kann schon früher, nach nur 3 Jahren Wartezeit und mit dem Erhalten des Passes, gespielt werden. Wie es sich genau mit den Teamwettbewerben verhält, ist mir noch nicht klar. Wenn ich also 32 bin, wäre ich für alle Wettbewerbe startberechtigt. Es gibt so viele Weltklasseathletinnen im Tischtennis mit sogar über 40. Warum sollte ich also nicht gerade meine Tischtennishöchstleistungen mit Anfang/Mitte 30 haben? 😉 Und wer weiß, wie die Zukunft aussieht, vielleicht ändern sich die Vorgaben und Regeln nochmal zu meinen Gunsten.
Johannes: Das sind alles spannende Themen gewesen. Wir wollen aber gerne noch etwas mehr über Deinen Aufenthalt in Shanghai erfahren. Man hört oft, dass das Training in China um einiges härter und intensiver als in Europa ist. Kannst du das bestätigen?
Vivien: Ja, von meinen letzten Besuchen in China und Japan weiß ich, dass das Training in Asien um einiges härter ist, als wir es in Europa kennen! Auch hier in der Summer School sind die Trainingseinheiten anstrengend, allerdings ist der Umfang an die 15 ausländischen Spieler, welche von überall aus der Welt kommen, doch etwas angepasst worden. Im Schnitt trainieren wir eine Trainingseinheit am Tag und den Rest der Zeit verbringen wir mit kulturellen Aktivitäten. Wir besichtigen die Stadt oder lernen die chinesische Kultur kennen. Was aber besonders interessant ist, sind die tischtennisspezifischen Aktivitäten. Ich habe z.B. eine chinesische Variante erlernt, wie man im Nachhinein ein Spiel analysiert, einen Blick auf den modernsten Tischtennisroboter der Welt erhascht, habe im gerade eröffneten Xuperman Café von Xu Xin (ehemalige Nummer 1 der Welt) ihn selbst angetroffen oder das einzige ITTF Museum der Welt besucht. Übrigens fand hier letztes Wochenende ein kleines Mixed-Spaßturnier mit Teilnehmern aus aller Welt statt, bei dem ich sogar am Ende mit einem indischen Spieler das Turnier gewinnen konnte. Zu unserer Überraschung überreichte uns Ding Song (Mannschafts-Weltmeister) den Siegerpokal. Es kam sogar hier in den regionalen Nachrichten. Von Tischtennis wird in China, wie bei uns vom Fußball, ständig berichtet. Auch ein tolles Erlebnis für mich.
Johannes: Herzlichen Glückwunsch! Das klingt nach einem intensiven, aber auch ausgeglichenen Tagesprogramm. Lass uns auf Deine TT-Trainingseinheit in der Summer School zurückkommen. Wie genau sahen diese Trainingseinheiten aus?
Vivien: Eine Trainingseinheit dauert 3h, in welcher 2h normales und eine Stunde intensives Balleimer-Training durchgeführt werden und das bei täglich 35 Grad. Man schwitzt schon im Stehen 😉! Was ich beim Training besonders finde, ist das Einspielen. Normalerweise kenne ich es so, dass man sich 5 min über die VH-Diagonale und 5 min über die RH-Diagonale einspielt. Die Chinesen legen allerdings einen größeren Fokus auf die VH und spielen sich über diese Seite ganze 7 min ein, dagegen über die RH-Seite nur 3 min. In der ersten Zeit haben wir mit dem Shanghai Provinzteam der Schüler trainieren dürfen. Sie sind zwar noch ziemlich jung (12-16 Jahre), aber schon sehr gut und professionell. In der restlichen Zeit wird mit dem Team der Sportuniversität trainiert. Das Niveau ist hierbei relativ gemischt und reicht von 2. Ligaspielern in China bis zu Amateuren.
Johannes: Kannst Du uns abschließend auch schon etwas über Deine Zukunft verraten, außer dass Du bei Schott Jena spielen wirst?
Vivien: Wenn ich aus Shanghai zurückgekehrt bin, möchte ich unbedingt noch eine gewisse Zeit in Berlin bei Hartmut Lohse trainieren. Dass ich Hartmut hier als Trainer kennengelernt habe (und nicht nur wie zuvor als Spieler), war für mich ein riesen Glücksfall. Er ist aus meiner Sicht einer der besten Trainer, die ich bisher kennen lernen durfte. Was ihn so besonders und gut macht, ist seine Fähigkeit, genau auf den Spieler einzugehen, Schwächen zu analysieren und abzumindern, Stärken weiter auszuarbeiten, Neues mal vorzuschlagen und den Blick auf das Spiel von unterschiedlichen Seiten aufzuzeigen. Er nimmt sich viel Zeit und ist immer so höflich. Nur ein kleines Beispiel: unter meinem früheren Trainer Peter lernte ich die „klassische europäische“ Schule der VH-Technik. Unter Cheng Xia in Luxemburg versuchte ich mich auf die chinesische VH-Technik umzustellen. Ein großer Unterschied der beiden Varianten besteht vor allem in der Beinstellung. Hartmut zeigte mir dann viele Videos von verschiedensten Topspielern der Welt, wie sie ihre VH spielen und dann fand er einen Zwischenweg für mich, wie ich meine VH spielen sollte, damit ich im Anschluss besser zum nächsten Ball stehen kann. Für mich ist es jedenfalls immer wieder erstaunlich, dass ich immer noch versuche meine Grundtechnik zu verbessern, obwohl ich schon so lange Tischtennis spiele.
Neben dem Tischtennis arbeite ich schon eine gewisse Zeit im Homeoffice in einem Unternehmen, welches sich auf den Onlinehandel spezialisiert hat. Ich habe auch weiterhin vor, dies zu tun. Es ist eine gute Möglichkeit, die Kenntnisse aus meinem Betriebswirtschaftslehrestudium zu nutzen. Ich übernehme hierbei vielseitige Aufgaben, welche von der Buchführung bis hin zum Kundendienst oder der SocialMedia-Gestaltung reichen. Es ist ein schöner Ausgleich und hilft mir dabei, meinen Tischtennisweg zu finanzieren. Insgesamt war es auf alle Fälle ein sehr spannendes Jahr und auch das Nächste wird bestimmt viele Überraschungen bereithalten.
Johannes: Das klingt alles sehr toll und wir, ich denke da kann ich für alle Brandenburger sprechen, sind sehr glücklich, dass Du weiterhin so einen tollen Weg gehst und Deinen Traum lebst. Vielen Dank für die sehr offenen und ehrlichen Einblicke in Deine TT-Karriere. Ich bin mir sicher, dass viele Brandenburger weiterhin Deinen Weg ganz genau verfolgen und Dir für Deine vielen sportlichen Herausforderungen kräftig die Daumen drücken werden.